Deutschland und Osterreich-Ungarn waren Uber Armenier-Volkermord

derStandard.at
11. Oktober 2007

Deutschland und Österreich-Ungarn waren über Armenier-Völkermord informiert

"Die armenische Rasse vernichten" – Damalige Verbündete erließen strenge
Zensur-Bestimmungen – Deutsche Offiziere an Verfolgung beteiligt

Das Foto aus dem Jahr 1919, herausgegeben vom Armenischen Nationalarchiv,
zeigt die Leichen armenischer Opfer in der nordsyrischen Stadt Aleppo.

Wien – Die damaligen Verbündeten der Türkei, Deutschland und
Österreich-Ungarn, waren nachweislich über die bürokratisch geplante
Verfolgung und Vernichtung der Armenier im Osmanischen Reich im Ersten
Weltkrieg informiert. Das geht nicht zuletzt aus den umfangreichen
Aufzeichnungen des österreichisch-ungarischen Militärattachés und k.u.k.
Feldmarschall-Leutnants Joseph Ritter von Pomiankowski und den Berichten
mehrerer deutscher Diplomaten hervor. Maßgebliche Zeithistoriker verweisen
auch auf die "Vorbildwirkung" des Genozids für die deutschen
Nationalsozialisten. Mehrere Aussprüche Adolf Hitlers in diesem Zusammenhang
sind aktenkundig.

Zensur

"Unsere freundschaftlichen Beziehungen (mit der Türkei) dürfen durch diese
innertürkische Verwaltungsangelegenheit nicht nur nicht gefährdet, sondern
nicht einmal geprüft werden", hieß es in einer deutschen Zensurvorschrift
von 1915. "Über die armenische Frage wird am besten geschwiegen." Der
einzige deutsche Reichstagsabgeordnete, der den Mord an den Armeniern
anzuprangern versuchte, war der damals noch zur sozialdemokratischen
Fraktion gehörenden spätere KPD-Gründer Karl Liebknecht. "Ist dem Herrn
Reichskanzler bekannt, dass unsere türkischen Bundesgenossen die Armenier zu
Hunderttausenden niedermachen?" fragte er am 11. Jänner 1916 im Reichstag,
worauf die Sitzung vom Parlamentspräsidium mit lautem Glockenklang
abgebrochen wurde.

Obwohl die Berichterstattung der Zensur unterlag, verbreiteten kleine
Missionsblätter Informationen über den Völkermord. So schrieb Mitte 1916 die
"Christliche Welt": "Wir stehen vor einer der größten Katastrophen, die die
Geschichte kennt." In Ost- und Westanatolien befänden sich keine Armenier
mehr. Etwa eine Million seien deportiert worden und Hunderttausende
umgekommen. Der deutsche Konsul Walter Rössler berichtete schon im Mai 1915
aus Aleppo über die Vernichtung der Armenier in ganzen Verwaltungsbezirken.

Diplomaten genau informiert

Die deutschen und österreichisch-ungarischen Diplomaten wussten genau, was
vor sich ging. Der deutsche Botschafter Werner Freiherr von Wangenheim
kabelte nach Berlin, "dass die Regierung tatsächlich das Ziel verfolgt, die
armenische Rasse zu vernichten." Das Schlimmste sei, jammerte Wangenheim,
"dass die ganze Welt die Schuld auf Deutschland abwälzen wird, da Freund und
Feind glaubt, die Macht liege ganz in unseren Händen und eine so tiefgehende
Maßnahme könne nur mit unserer Zustimmung ausgeführt werden".
1913 hatte Kaiser Wilhelm II. 42 hohe deutsche Offiziere mit General Otto
Liman von Sanders (vom Sultan zum Pascha ernannt) an der Spitze zur
Unterstützung der osmanischen Armee in die Türkei entsandt. Liman hatte mit
Sitz und Stimme im Obersten Kriegsrat die Möglichkeit, auf alle
militärischen Entscheidungen der Türken Einfluss zu nehmen.

Deutsche Offiziere halfen bei Erschießungen und Deportation

Wie der Schweizer Historiker Christoph Dinkel nachweisen konnte, sind
deutsche Offiziere nicht nur gegen die Armenier eingetreten, sie haben sogar
selbst Deportationen durchgeführt und mitgeschossen. "Es kann nicht
geleugnet werden, dass deutsche Offiziere – und ich gehöre auch dazu – zu
bestimmten Zeiten den Rat geben mussten, gewisse Gebiete im Rücken der Armee
von Armeniern frei zu machen", zitiert Dinkel den seinerzeitigen deutschen
Operationschef im türkischen Generalhauptquartier Otto von Feldmann.
Der österreichische Generalkonsul in Trapezunt (Trabzon), Ernst von
Kwiatkowski, berichtete am 22. Oktober 1915 nach Wien: "Aus deutscher Quelle
erfahre ich, dass die erste Anregung zur Unschädlichmachung der Armenier von
deutscher Seite erfolgt sei." Liman beschuldigte "die Armenier", auf der
Seite der Russen zu stehen. "Das ganze armenische Volk hat sich schuldig
gemacht", schrieb Felix Guse, der ranghöchste deutsche Offizier an der
kaukasischen Front.

"Verwahrung"

Der von deutschen Katholikenkreisen um den Zentrumsabgeordneten Matthias
Erzberger (der die erschreckenden Nachrichten von Franziskanermönchen
erhalten hatte) erzeugte Druck veranlasste die deutsche Regierung 1916 bei
der türkischen Regierung "Verwahrung" gegen die grausame Behandlung der
Armenier einzulegen. Daraufhin forderte Kriegsminister Enver Pascha mit
Erfolg die Abberufung des deutschen Botschafters Paul von Wolff-Metternich.
(APA/red)

© 2007 derStandard.at – Alle Rechte vorbehalten.

http://derstandard.at/?url=/?id=3070020