X
    Categories: News

Unsere Wurzeln wurden vernichtet

Taz, die tageszeitung
13. April 2005

“Our roots were destroyed”
Turkey’s refusal to recognize the Armenian Genocide is fatal, says
Masis Bedros …

“Unsere Wurzeln wurden vernichtet”;

Die Weigerung der Türkei, den Völkermord an den Armeniern
anzuerkennen, sei fatal, meint der Geschäftsführer der Kölner
Armenischen Gemeinde, Masis Bedros. Dass auch der Bundestag den
Begriff scheut, “ist eine Unverschämtheit”

AUTOR: SUSANNE GANNOTT

Die Weigerung der Türkei, den Völkermord an den Armeniern
anzuerkennen, sei fatal, meint der Geschäftsführer der Kölner
Armenischen Gemeinde, Masis Bedros. Dass auch der Bundestag den
Begriff scheut, “ist eine Unverschämtheit”

taz: Herr Bedros, heute beginnt eine Veranstaltungsreihe im Kölner
Lew-Kopelew-Forum zum 90. Jahrestag des Völkermords an den Armeniern.
Weitere Termine folgen in den nächsten Wochen. Wie wichtig ist für
Sie der 24. April als armenischer Nationalfeiertag?

Masis Bedros: Dieser Tag ist einer der wichtigsten unserer
Geschichte, nicht nur wegen der Vergangenheit, sondern auch wegen
unserer alltäglichen Probleme heute – und den Folgen der Diaspora.
Die macht vieles schwierig. Wenn zum Beispiel jemand stirbt, müssen
wir mit der Beerdigung oft tagelang warten, bis die Familie aus aller
Welt angereist ist. Da muss der Onkel aus den USA kommen, die
Schwester aus der Türkei und so weiter. Bei Hochzeiten oder anderen
Feiern gilt dasselbe.

In Köln und Umgebung gibt es eine recht große armenische Gemeinde mit
5.000 Mitgliedern. Ist der Zusammenhalt untereinander stark?

Auf jeden Fall. Das Zusammengehörigkeitsgefühl in Alltag und
Geschäftsleben ist sehr stark.

In Köln leben ja auch viele Türken. Gibt es da Kontakte – oder eher
nicht?

Das kommt darauf an, woher die Leute kommen. Die meisten Armenier
sind aus der Türkei. Sie kamen vor allem in den 60er Jahren als
Gastarbeiter und in den 80ern als Asylbewerber. Sie haben durchaus
Kontakte zu Türken. Da gibt es auch viele Ähnlichkeiten in der
Mentalität. Bei den Armeniern aus Iran, dem heutigen Armenien, Syrien
oder Irak ist das weniger der Fall.

Offiziell weigert sich die Türkei, den Völkermord an den Armeniern
anzuerkennen. Gibt es trotzdem im Persönlichen keinerlei
Berührungsängste?

Jein. Die türkischen Familien, die schon länger in Anatolien lebten,
wissen aus ihrer Familiengeschichte, was den Armeniern angetan wurde.
Zumal viele sagen, dass ihre Oma oder ihr Opa Armenier waren, die als
Waisenkinder aufgenommen und türkisch erzogen worden sind. Dann gibt
es aber auch Nachkommen türkischer Familien, die nach 1923 in
Anatolien angesiedelt wurden. Die kennen die Geschichte überhaupt
nicht. Die Familien wussten oft nur, dass die Häuser, in die sie
einzogen, früher von Armeniern bewohnt waren, aber nicht, unter
welchen Umständen man sie vertrieben hatte. Von offizieller Seite
oder wenn zwei Türken miteinander reden, heißt es sowieso: Nein, das
haben wir nie im Leben getan. Da muss die Ehre gewahrt bleiben.

Im Deutschen Bundestag wird jetzt ein Antrag zu Armenien diskutiert,
in dem das Wort “Völkermord” nicht vorkommt, weil man es sich mit der
Türkei nicht verscherzen will. Wie empfinden Sie das?

Das ist eine Unverschämtheit, was Deutschland sich hier leistet,
zumal es ja eine große Mitschuld Deutschlands gibt. Besonders
enttäuscht bin ich, weil der Holocaust an den Juden hier sehr gut
aufgearbeitet wurde. Gerade Deutschland könnte als guter Freund der
Türkei sagen: Hört mal, wir haben unsere Vergangenheit so
aufgearbeitet, es wäre gut, wenn ihr das auch tätet.

Warum ist die Anerkennung des Völkermords durch die Türkei für Sie so
wichtig?

Es geht hier nicht nur um 1,5 Millionen Opfer. Unsere gesamten
kulturellen Wurzeln wurden vernichtet. Hinzu kommt noch, dass wir in
der Türkei oft als Täter hingestellt werden. Die Geschichte wird so
hingestellt, als hätten wir es nicht anders verdient. Und die ganze
Kultur der Türkei wird entarmenisiert. Vor kurzem wurden sogar Tiere
und Pflanzen, die lateinische Namen wie “Armenica” und “Curdica”
hatten, umbenannt in “Anatolica”. Solche Dinge schmerzen die
Armenier.

Yeghisabet Arthur:
Related Post